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Tanz International / Jahrbuch 2000
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Potsdamer Neueste Nachrichten
Montag, 5. Juni 2000
Kultur in Potsdam


Wohltätig ist des Feuers Macht?
Tanz-Musik-Artistik-Installation ,,Prometheus Fantasia"

Unaufhörlich pendelt ein Feuertopf hin und her. Ein junger Mann schlendert wie zufällig vorbei, zündet sich an den Flammen gedankenlos eine Zigarette an. Man sieht ihm an, wie er von dem Gezüngel angezogen ist und nachzudenken beginnt Unmerklich verwandelt er sich in die mythologische Ge­stalt des Prometheus, sucht und findet Brandzeichen. Zunächst in pyrotechnisch­explodierenden Fässern und an einer emporkriechenden Feuerlinie, dann in der Geschichte. Als anonymer ,,P" durchstreift er in der Tanz-Musik-Artistik-Installation ,,Pro­metheus Fantasia" von Mike-Martin Robacki und Thomas Guggi die Menschheitsgeschichte. Nachdem sein Vorfahr den Erdenbewohnern das Feuer brachte, will er nun wissen, was aus der Welt geworden ist.

Die keineswegs erfreuliche Reise führt ihn an Stätten der Zerstörungen und Katastrophen, lässt ihn technischen Fortschritt und Forscherdrang erleben, Visionen von Sehnsucht und Harmonie träumen. Gleich ihm sind die Zuschauer neugierig auf das, was der assoziationsreiche Streifzug in der Reithalle A an Potsdams zukünftigem Theaterstandort bereithält. Zunächst einen technisierten Bühnenaufbau, der von einem sich pyramidenförmig emporstrebenden Stahlgestänge bestimmt wird. An ihm vollführen Artisten gewagte Aktionen. Im Hintergrund eine riesige Leinwand, auf die Videos von Feuer- und Wassereruptionen, Kriegsbildern oder Szenen aus einem Stahlwalzwerk projiziert werden. Davor befindet sich ein riesiges Rad, einem Rennrad für Mäuse und Hamster nicht unähnlich. Es symbolisiert das fortschrittsanbrechende Zeitalter der Dampfturbine, lässt an das Rad der Geschichte und an das der Glücksgöttin Fortuna denken, aber auch an ein unaufhörlich rotierendes Gefängnis für den Menschen, aus dem es kein Entrinnen zu geben scheint.

Kein Entrinnen gibt es auch aus der fast archaisch anmutenden Musikcollage, für die Jerome Soudan zuständig ist. Einspielungen von dessen CD-Produktionen und livehaftiger Auftritt des Schlagzeugers verbinden sich mit Floskeln aus klassischen Werken, etwas aus Orffs ,,Carmina burana". Für die prometheische Urkultur stehen die Auftritte von Abdourahmane Diop mit seinen energetischen Afrodrums und von Lars Dietrich, der das urwüchsige Didgeridoo der Aborigines prägnant bläst. Einspielungen von Bachscher Musik untermalen die menschlichen Fantasien nach Geborgenheit.

Was die zirzensische Zeitreise an gedankenreichen Bezügen darzustellen beabsichtigt, findet in diesem optisch-akustischen Umfeld seine grandiose Entsprechung. Vor allem dadurch, weil sich die einzelnen Elemente tatsächlich zu einem durchchoreografierten Multimediaspektakel mit tieferer Bedeutung verbinden. Gelungenstes Beispiel dafür ist vielleicht die lndustrialisierungsszene mit ihren entfesselten Kräften. Robotergleich vollführen zwei Arbeiterinnen (Tanzsolistinnen von der Komischen Oper) auf Laufbändern ihre Fließbandarbeit in ewig gleichen Handreichungen. ,,P" bringt währenddessen in beharrlicher Laufarbeit das Rad (und damit die Arbeit) in Schwung. Zwei Darsteller schwangen dazu im Takt große Vorschlaghämmer. Gleichzeitig vollführt Mandy Wnuck v. Lipinski am Vertikalseil akrobatische Drehungen. Dazu tönt aus den Lautsprechern enervierende Musik, erscheinen auf der Leinwand Auf­nahmen von brodelnder Metallschmelze. Wie hier jedes einzelne Detail genau zum anderen passt und die unterschiedlichsten Sinne reizt, wirkt geradezu beklemmend.

Von ähnlicher Wirkung zeigen sich die Bilder von des Feuers verheerenden Kraft. Um die Gräuel des Krieges anzuprangern, fungieren als so genannte Mittler zwischen Himmel und Erde Artistinnen an Strapaten. Nach ihren Bungee gleichen Bewegungen hängen sie als Tote in den Seilen. Requiemklänge ehren sie, zerstört am Boden liegt ,,P". Das Kapitel mittelalterlicher Inquisition im Zeichen des brennenden Kreuzes findet eine nicht weniger starke Bildersprache. Die an zwei Doppeltrapezen enorm körperbeherrscht arbeitenden Artistinnen symbolisieren das Zu-Tode-Kommen, an dessen Ende ,,P" als gleichsam gekreuzigter Jesus in der Höhe schwebt. Herabgenommen und im Schoß von Maria liegend, stellt sich ein suggestives Pieta-Bild her.

Lars Scheibner (als ,,P" alias Prometheus) und Angela Reinhardt, Solisten an der Komischen Oper Berlin, gestalten und tanzen ihre Parts mit beklemmender Intensität. Als Partnerin an seiner Seite ist sie sowohl Pandora, die Glücksbringerin, als auch unschuldvolle Eva und mitleidende Maria. Er dagegen ist der von Neugierde und Unruhe Getriebene. Kraftvoll sind seine tänzerischen Bewegungen, akrobatisch seine Drehungen und Sprünge, aussagestark sein Minen- und Gestenspiel. Eine fantastische Leistung, die über das knapp anderthalbstündige Geschehen nichts an Spannung einbüßt. An der sind gleichermaßen alle anderen Mitwirkenden beteiligt.

Als „Hephaistos“, Gott des Feuers, schwingt Gert Gatschke (Karate-Europameister aller Klassen 2000) u.a. Feuerstab und Schwert. Leider ist er in seinem schwarzen Overall von der Figur des ebenso gewandeten , „Titan“ nicht zu unterscheiden. Ein knallrotes Flammenzeichen an seiner Arbeitskluft könnte die Verwechslungsgefahr bannen. Jenen Titan gestaltet Swen Raschka, Taek-Won-Do-Meister, mit athletischer Agilität. Eine staunenswerte Kampf- und Kraftsporteinlage voller Schnelligkeit und Gelenkigkeit, besonders wenn er mit Tänzer Lars Scheibner sich ein Duell in der Art des Schattenboxens liefert.

Beinahe beängstigend, dass bei dieser Voraufführung (drei waren es insgesamt) kaum etwas schiefging. Glaubte man altem Theaterbrauch, so wäre deshalb der Urraufführung zum Ende der Brandenburgwoche am 18. Juni im Deutschen Pavillon auf der Expo 2000 in Hannover kein Erfolg beschieden. Doch Barbara V. Heidenreich, Spektakel-Produzentin und Chefin der Potsdamer Hofkonzerte, wusste während der General­probe Fehler beim Lichteinsatz, Tempoablauf und sonstigen Details festzustellen. Ergo steht dem Premierenerfolg nichts im Wege.

PETER BUSKE