BRAVOS für
Starsolisten Angela Reinhardt und Ralph Stengel.
Buhlen, lieben, morden, verstoßen
Uraufführung des Tanzstücks "Die letzte Nacht der Maria Stuart"
VON PETER BUSKE
Eine faszinierende Frau, diese Maria Stuart. Friedrich Schiller setzte ihr mit seinem gleichnamigen Schauspiel ein Denkmal, Gaetano Donizetti ließ sie in der Oper "Maria Stuarda" von Liebe und Leid singen. Stefan Zweig analysierte in seinem Roman scharfsinnig das historische Umfeld und die Psyche der schottischen Königin Maria, die wegen einer (angeblichen?) Verschwörung gegen die englische Königin Elisabeth 1. nach 19‑jähriger Kerkerhaft enthauptet wurde. Nach ihrem Tod setzte alsbald die Verklärung ein. War sie Mörderin oder Märtyrerin, schlichte Intrigantin oder himmlische Heilige? Nehmt alles nur zusammen, ließe sich ‑ frei nach Goethe ‑ sagen und ungebändigt jenen Trieben folgen, mit denen sich des Dichters "Drang nach Wahrheit und die Lust am Trug" offenbart.
Stefan Zweig war davon genauso erfüllt wie auch die zypriotische Choreografin Dominique Efstratiou, die dessen Roman zur Grundlage ihrer Szenenfolge "Die letzte Nacht der Maria Stuart" nahm. In tänzerischer Verdichtung ist daraus eine zehnteilige traumatische Reflexion über liebe, Macht und Tod entstanden, spielend am Vorabend von Marias Enthauptung. Produziert wurde das Tanzstück von der Agentur Barbara V. Heidenreich, die es im Rahmen ihrer verdienstvollen Reihe der Potsdamer Hofkonzerte im Schlosstheater im Neuen Palais mit Starsolisten und mit Solotänzern vom Staatstheater Cottbus uraufführte. Ermöglicht wurde diese Produktion aber auch durch die finanzielle Unterstützung des Kulturministeriums des Landes Brandenburg, das um die Bedeutung des Balletts ‑ egal ob klassischakademisch, ausdruckstänzerisch oder modern ‑in der Landeshauptstadt weiß. Wie die Erfahrungen lehren, sind dergleichen Investitionen immer gut angelegt gewesen. Auch diesmal wieder.
Hinter einer hohen Gitterwand verbringt die schwarzgewandete Maria die letzte Nacht ihres irdischen Daseins. Auf halbdunkler und total entrümpelter Bühne spielt sich zunächst der kraftvoll ausgetanzte "Kampf der zwei Kirchen" um die Macht ab. Diese ist personifiziert (Constanze Korthals) und tritt im Verlauf des anderthalbstündigen, aufwühlend und spannungsgeladen sich in Rückblenden ausbreitenden Geschehens immer wieder auf. Allein oder in Begleitung jener Personen, die der Macht bedürfen, um an die Herrschaft zu gelangen oder diese zu behalten. Konstanze Korthals ist eine athletische, trefflich trainierte und erforderlich mienenstarre Vertreterin dieser allegorischen, fast allgegenwärtigen Gestalt. Ausdrucksstarke Gesten stehen ihr mühelos zur Verfügung. Damit stachelt sie Männer an, beherrscht Frauen (Maria nach dem Todesurteil) und die Bühne. Auf der spielen kräftige Farben eine wichtige Rolle. Wie der kreuzbewaffnete, in grünen Morgenmänteln tanzende katholische Klerus in Schottland, die im blutroten Trikot um Liebe buhlende Maria, die im goldockerfarbigen Abendkleid auftretende Macht. Die Lichtdramaturgie folgt ähnlichen Absichten.
Von mittelalterlichen Mysterienbildern inspiriert, erscheint der Tod gleichfalls als allegorische Figur, langgewandet und dunkelhäutig geschminkt, erfreulicherweise ohne die sonst üblichen gerippigen Zutaten. Ausstatterin Andrea Eisensee versagt sich den Folkloreaufputz in Kostümen und Requisiten, konzentriert sich stattdessen auf das Wesentliche und die Botschaft der Choreografin. Was deren weiblicher Psychoseelenblick entdeckt ‑ nämlich diverse Demütigungen der Frau ‑ ist einem männlichen Zuseher nur die Folge von Marias entsprechendem Verhalten, denn sie ist wahrlich kein Kind von Traurigkeit, wenn es ums Verführen und Vernaschen geht.
So von Lord Darnley (im grünen Kilt und Bolerojäckchen: Jacob Zdziarsky), der sich nach Marias Heirat mit dem französischen König Franz 11. (in gerüschten rosaroten Unterhosen: René Rosner) und dessen plötzlichen Tod ‑ plötzlich im begierlichen Blickfeld von Maria sieht. Er wird zweiter Ehemann und König, erhält von Maria Liebe und Macht. Dafür demütigt und verstößt er sie. Sie rächt sich, indem sie ihm beides entzieht. Er rächt sich, indem er Marias Geliebten, Freund Riccio (erneut besetzt und handlungsdramaturgisch sehr passend: Rene Rosner), umbringen lässt. Was postwendend dazu führt, dass nunmehr auch er dem Tod in des Wortes sinnreicher Bedeutung ‑ übergeben wird. Und zwar von Lord Bothwell (Modellathlet und ausdrucksstark: Ralph Stengel, Solotänzer der Staatsoper Berlin), in dessen muskulösen Armen sich Maria geborgen fühlt. Alsbald gewinnt er absolute Macht über sie, und sie gewährt ihm diese, um ihn zu halten. Diesmal ist er der Aktive, sie die Eroberte. Willenlos und anschmiegsam, fügsam. Geradezu animalisch treiben sie's auf dem Boden. Doch diesmal wird sie zur Wegwerfware.
Marias Wut und Verzweiflung über Demütigungen, Liebesverrat und schwindender Macht drückt sich in der perfekt beherrschten Körpersprache von Angela Reinhardt mit atemberaubender Prägnanz und Ausstrahlung aus. Sie, die jahrelang Erste Solotänzerin an der Komischen Oper Berlin war, ist genauso wie die Choreografin bis in die Fingerspitzen von jenem künstlerischen Geist er** Ilt, wie er sich im Neuen Künstlerischen Ausdruckstanz der legendären Gret Palucca und in den Eingebungen von Tom Schilling offenbarte. Ihr expressiver Tanzstil ‑ wenn sie beispielsweise wie eine Tigerin immer wieder die Gitterwand des Kerkers anspringt ‑ macht das Zuschauen zu kostbaren, unwiederbringlichen Momenten sinnerfüllten und charaktererzählenden Tanztheaters. Unterstützt wird es durch eine Musikkomposition tönender Zutaten aus der Zeit Maria Stuarts und Elisabeths 1. (u.a. von William Brade, Traditionals) sowie modern komponierten Adaptionen historischen Notengutes, die per Lautsprecher eingespielt werden. Intensiver und anhaltender Bravojubel dankt einer Novität, der man das Nachspielen auf anderen Bühnen nur empfehlen kann.
Nächste Vorstellung: 29. 9., 16 Uhr, 5.10., 17 Uhr, Schlosstheater im Neuen Palais.
Von Martina Helmig
War Maria Stuart eine Mörderin, Märtyrerin, Intrigantin oder Heilige? Die Frage, die schon Stefan Zweig bewegt hat, stellt nun ein neues Tanzstück. «Die letzte Nacht der Maria Stuart» lässt das von Macht und Liebe besessene Leben der schottischen Königin in Traumszenen Revue passieren.
Bei der Uraufführung im Potsdamer Schlosstheater schlüpft Angela Reinhardt in die Titelrolle. Sie hält keine Distanz, sondern schlägt sich ganz und gar auf die Seite der Königin. Die ehemalige Erste Solotänzerin der Komischen Oper Berlin verkörpert mit ausdrucksstarken, fließenden Bewegungen eine sehnsuchtsvolle, verletzliche Frau. Anmutig schwebt sie durch die glücklichen Tage in Frankreich. Der ganze Hofstaat hängt bewundernd an ihrem rosa Rockzipfel.
Angela Reinhardt vertieft sich in die Höhen und Tiefen der Lebensodyssee, in die Schmerzenskrämpfe nach dem Tod von Franz II, immer neue Enttäuschungen, aber auch immer wieder neu erwachendes Selbstbewusstsein. Ihre Maria Stuart ist eine starke Frau, die in die Opferrolle gerät - sie ist keineswegs eine eiskalte Intrigantin.
Die Charakterzeichnung in dem Tanzstück wäre allzu einseitig, gäbe es als Spiegelbild nicht die personifizierte «Macht». Constanze Korthals gibt mit frostiger Suggestivkraft die überlegene Herrscherin, den Vamp, der tatsächlich Männer mordet.
In der Koproduktion zwischen den Potsdamer Hofkonzerten und dem Staatstheater Cottbus pendeln Kostüme und Tonbandmusik zwischen dem 16. Jahrhundert und heute. Die Choreographin Dominique Efstratiou hat eine schnörkellose, aufs Wesentliche gerichtete Tanzsprache entwickelt. Sie führt aus dem klassischen Vokabular ins Moderne.
Gefühlsstarke Momente beeindrucken, etwa wenn Maria Stuart und Lord Darnley (Jacob Zdziarsky) einander umgarnen, belauern und die Fieberkurve dabei immer leidenschaftlicher ansteigt. Oder der ohnmächtig im Kriechen und Liegen ausgetragene Clinch mit dem Earl of Boswell. Maria Stuarts dritter Ehemann ist mit dem Staatsopern-Solotänzer Ralph Stengel kraftvoll besetzt.
Auch die Solotänzer vom Staatstheater Cottbus wecken die Traumbilder, die die entmachtete Königin am Vorabend ihres Todes bewegen, zu schillerndem Leben.
Schlosstheater des Neuen Palais, Sanssouci, Pots- dam. Tel.: 0331/ 27 55 830. Weitere Vorstellungen: am 29. 9. um 16 Uhr so- wie am 5. 10., 17 Uhr
Eine «traumatische Reflexion über Liebe, Macht und Tod am Vorabend ihrer Enthauptung» heißt das Ballett Die letzte Nacht der Maria Stuart im Untertitel, und Angela Reinhardt erleidet im Potsdamer Schlosstheater denn tatsächlich das Schicksal der schottischen Königin am eigenen Leib: Stück um Stück gibt sie sich der Erinnerung hin, und im gleichen Maße, wie sie sich mit ihr identifiziert, wird aus einer Position eine Person. Das schwarze Kostüm zu Anfang verhindert jede Blöße. Unter der riesigen, rosaroten Robe lassen sich wenig später schmerzhafte Erfahrungen wegstecken. Aber cm Ende kleidet Andrea Eisensee die ehemalige Schilling‑Solistin so, dass gleichermaßen Verletztheit wie Verletzlichkeit zum Vorschein kommen können, und Angela Reinhardt zeigt beides. Klein von Statur, ist sie kraftvoll im Ausdruck, und keine "Macht" nicht einmal die der Rivalin (Constanze Korthals) kann sie abhalten von der Konsequenz ihres Tuns: ein Kunstgriff der zypriotischen Choreografin D o m i n i q u e E f s t r a t i o u , die nicht einfach dem Stuart‑Roman von Stefan Zweig Schritt für Schritt Folge leistet, sondern die Koproduktion der Potsdamer Hofkonzerte Sanssouci und dem Staatstheater Cottbus ganz aus dem Gestaltungswillen ihrer Protagonistin heraus entwickelt ‑ aufs Äußerste konzentriert und doch so bewegend wie möglich. reg
Lausitzer Rundschau 05.10. 2002
Schicksalslaufe einer faszinierenden Frau
"Die letzte Nacht der Maria Stuart" in Cottbus
VON GABRIELE GORGAS _
Zu erleben waren herausragende tänzerische Leistungen, eine Inszenierung mit Schauwert im besseren Sinne. Das vor wenigen Tagen im Schlosstheater Potsdam erfolgreich uraufgeführte, nun in Cottbus vorgestellte Ballett entstand als Koproduktion der Konzert‑ und Künstleragentur Barbara V. Heidenreich mit dem Staatstheater Cottbus.
Die Geschichte der Stuart wird erzählt als "traumatische Reflexion über Liebe, Macht und Tod am Vorabend ihrer Enthauptung". Glücklicherweise gibt sich das Stück nicht ganz so gestelzt wie der Untertitel, doch etwas kopflastig gedeutet scheint es zuweilen schon. Vielleicht auch verursacht durch die erklärte Bindung "nach Motiven von Stefan Zweig". Zumindest verführt wohl die psychologisierende, vertiefende Sicht des Autors ‑ im Tanz höchstens zu assoziieren ‑etwas zur Aneinanderreihung von Figuren, Situationen, lähmt den freien bewegten Erzählfluss.
Dessen ungeachtet gibt es in der Inszenierung und Choreographie von Dominique Efstratiou reichlich Bemerkenswertes. Vor allem, wenn es ihr gelingt, sich stilistisch frei zu machen, sie weniger dem äußeren Schein vertraut als der lebendigen Charakterzeichnung. Ausgesprochen spannend ist das Aufeinandertreffen von Maria und Bothwell, dieses in Bewegung gefasste Spiel um Macht und Unterwerfung, mit rasanten Hebungen, sich verquickenden Körpern.
Angela Reinhardt, langjährige Solistin der Komischen Oper Berlin, beweist einmal mehr, dass sie technisch wie gestalterisch eine der Großen ist. Und es ihr auch in weniger aufregenden Momenten der Choreographie gelingt, individueijes Format zu zeigen. Dabei ist, wenngleich etwas im Typ verfestigt, Ralph Stengel als Bothwell ein würdiger Partner.
Kaum zu glauben, dass nur insgesamt sechs Tänzer diesen Abend auf der großen Bühne bestreiten. Sämtlich mit Verwandlungen betraut. Auch Maria, wenn auch immer sie selbst, wandelt sich in den Abläufen ihres Schicksals. Vier Darsteller kommen vom Ballettensemble des Staatstheaters Cottbus. Und sie können sich sehen lassen. Besonders Constanze Korthals, die in der Rolle der Macht eine schillernde, zupackende, domiriante Gestalt verkörpert. Rene~ Rosner tanzt äußerst liebenswert Franz 11. und Riccio, Jakub Zdziarski den John Knox und Lord Darnley sowie Julia Leidhold einen Hofling.
Mit sparsamen, treffenden Akzenten kommt das Bühnenbild von Andrea Eisensee aus. Allerdings geht sie recht üppig mit den Lichteffekten um und vergreift sich zuweilen in etwas geschmäcklerischen, weniger tanzbaren Kostümen. Doch andere wie der sich ausweitende Rock der Maria bekommen außer dem äußerlichen auch szenisches Gewicht.
Eine weitere Aufführung des "Stuart'‑Balletts findet in Cottbus arn 22. Oktober statt Beginn 19.30 Uhr.